Paradoxa üben eine gewisse Faszination aus: der sehr einfache Satz “Ich lüge” führt zu einem unauflösbaren Widerspruch: sage ich die Wahrheit, bedeutet das, der Satz ist wahr – demnach lüge ich also. Ist der Satz falsch, ist er gelogen, und bestätigt durch seine Aussage die eigene Wahrheit. Wie man das Blatt wendet oder dreht – man bleibt immer im Widerspruch hängen.
Paradoxa haben eine lange Geschichte in der Philosophie. Obiges Paradoxon, genannt das “Lügner-Paradoxon” oder einfach auch “Der Lügner”, geht zurück auf Epimenides, der Kreter, dem die Aussage zugeschrieben wird, alle Kreter seien Lügner. Man beachte, dass dies gerade kein Paradoxon darstellt. Denn ist der Satz wahr, sind alle Lügner. Ist der Satz aber falsch, kann man nur schließen, dass manche Kreter lügen, aber nicht notwendigerweise alle. Der Satz “Ein Kreter sagt: “Alle Kreter lügen”” würde also nur ein Paradoxon sein, wenn es nur einen Kreter gäbe.
Paradoxa sind in der Sprache vielfach zu finden, und auch leicht zu konstruieren, besonders Abwandlungen des Lügner-Paradoxons: “Dieser Artikel ist all jenen gewidmet, denen nie ein Artikel gewidmet wird”. Stellt man sich nun die Frage, ob dieser Artikel nun eben diesem Personenkreis gewidmet ist, muss man zugeben, dass man auf eine nicht auflösbare Kontradiktion stößt. Man kann sich gerne mal die Übung stellen, selbst einen Verwandten des Lügner-Paradoxons zu formulieren!
Neben dem Lügner gibt es noch eine Vielzahl anderer Paradoxa. Eines der berühmtesten ist vielleicht das des Barbiers: ein Barbier auf einer Insel rasiert allen Männern den Bart, die sich nicht selbst rasieren. Rasiert sich nun der Barbier selbst? Wenn ja, gehört er zu der Gruppe, die sich selbst rasieren – also rasiert er sich gerade nicht. Rasiert er sich aber nicht, gehört er zu der Gruppe, die sich nicht selbst rasieren, also per definitionem vom Barbier, also sich selbst, rasiert werden. Also rasiert er sich selbst!
Glücklicherweise gibt es so etwas wie eine Abstufung für den “Härtegrad” von Paradoxa. Im Allgemeinen wird das Paradoxon des Barbiers nicht als unauflösbar eingeschätzt. Denn es handelt sich hierbei um eine begriffliche Verwirrung: einen solchen Barbier, wie oben dargestellt, der alle rasiert außer sich selbst, kann es rein begrifflich nicht geben – darauf weist gerade der Widerspruch hin. Mit dem Lügner-Paradoxon verhält es sich anders: es hat in der Geschichte viele – sehr viele – Lösungsvorschläge zu diesem Paradoxon gegeben, und keiner davon konnte näherer Untersuchung standhalten. Deshalb wird das Lügner-Paradoxon heute als unauflösbar angesehen – eine echte Antinomie im kantischen Sinne (Antinomie, Paradoxon und Kontradiktion werden manchmal synonym, manchmal aber auch nicht verwendet. Ich verwende “Antinomie” und “Paradoxon” synonym – einen nicht auflösbaren Widerspruch – aber den Begriff der Kontradiktion zunächst nur synonym mit dem des Widerspruchs – bei dem es zu untersuchen gilt, ob ein auflösbarer Widerspruch (wie bei “ein Kreter sagt: alle Kreter lügen”) oder ein unauflösbarer (“Ich lüge”) vorliegt.
Wer sich mit den verschiedenen Lösungsvorschlägen zum Lügner vertraut machen soll, dem sei das Buch “Die Wahrheit über den Lügner” ans Herz gelegt – dort werden alle Vorschläge auf Herz und Nieren überprüft. Wer wissen will, was das Lügner-Paradoxon, die Lösungsvorschläge, und überhaupt alle Paradoxa mit Gödels Unvollständigkeitstheorem zu tun haben, dem sei das betreffende Kapitel aus “Dialektik des Anfangs” empfohlen.
