“Die böse böse Metaphysik! Was hat die nur angerichtet, wie hat sie uns in Verruf gebracht, uns anständige Philosophen, die wir nie einen schlechten Gedanken hatten – eine verruchte Göttin hat uns verzaubert, uns mit einem Fluch belegt, unser sonst so reines klares Denken in einer Giftwolke erstickt!”
So oder so ähnlich kommt mir die Attitüde der analytischen Philosophie und der Sprachphilosophie gegen die Metaphysik vor. Wie wissenschaftlich sind wir nur geworden, wie stolz sind wir auf unsere forensische Kleinkrämerei! Wie sehr haben wir es nötig uns abzusetzen von einer Zeit, die deshalb nichts gescheites hervorbringen konnte weil die Philosophie von einer böswilligen Gottheit beherrscht war.
Also machen wir was die kleinen Geister am besten können – wir beschränken uns pfleglichst und falsch-humanistisch verzerrter Bescheidenheit auf den kleinstmöglichen Nenner: den direkten Auswurf des Geistes, das physikalischste aller Offenbarung desselben, die Worte, die Sprache, die Sätze.
Dass wir damit den Fortschrittsgeist des Wissens-Drang, den Entdeckertrieb, die Innovationskraft des wahrhaft selbstständigen Denkens an einem von uns selbst geflochtenen Strick aufhängen – diesen Gedanken lässt unsere neumodische Kleinlichkeit nicht aufkommen, sie wird klamm bei dessen Dämmerung und vertuscht ihn schnell und eifrig mit der Tinte des wissenschaftlichen Arbeitens. Endlich sind wir Philosophen auch Wissenschaftler. Endlich haben wir ein Geschäft, mit Lager hinten dran und Schaufenstern vorne hinaus; was gelehrt wird ist nicht mehr der Prozess des unabhängigen Denkens, sondern ein Kabinett der Kuriositäten wird aufgeführt; und der Wille zur Lösung von Problemen zerrinnt in den Fasern des vereinzelt-einsam dargestellten philosophischen Problems, das ohne Kontext, ohne Vergleich, ohne Analyse seines Stellenwertes, seines historischen Platzes, seines Zusammenhangs zu einem ganzem System von Problemen wie ein Sudoku-Rätsel aus einer Zeitschrift behandelt und vorgestellt wird. Man führt die Fragestellungen als einzelne, nackt und einsam auf die Schaubühne und beraubt sie damit ihrer Substanz, nämlich der Konnexion zu einem ganzen System von offenen Fragen und Problemen. Den Dschungel der Problemzusammenhänge zu durchschauen, zu meistern, sich ohne Furcht darin bewegen zu können, eine innere Landkarte davon zu erstellen und diese wiederzugeben, andere von seinen Entdeckungen profitieren zu lassen, ist die Aufgabe und die Meisterschaft des wahren Philosophen.
Die paradoxe Natur der Sprache weht uns überall fauchend ins Gesicht, aber wir sind abgehärtet durch unsere selbstauferlegte Stumpfheit und geschützt durch den Mantel der harten Wissenschaftlichkeit. Die Philosophen haben jetzt auch ein Experiment, schau her und freu dich, wir haben ja die Sprache selbst, die muss uns nun Mutter Erde sein und uns aushalten!
Dass die interessanten Strukturen schon lange wieder zur Ruhe gekommen sind wenn ein Satz geäußert wurde, und die Worte nur noch die halbtote, absterbende Schicht darstellen wie die Zellen der Haut, die deren Oberfläche ausmachen, das verdrängen wir so gekonnt wie möglich – eben mit neuen, ebenso toten Worten und Sätzen. Dass die Wahrheit erst im System sich selbst hält und zeigt, das vergessen wir vollends: denn das Experiment bringt die Verdünnung der philosophischen Substanz für den des abstrakten nicht fähigen Geist – will sagen, am liebsten schauen wir uns EINEN einzelnen Satz an. Ein einzelnes nichtssagendes etwas, dessen Aussagekraft nicht in sich selbst besteht sondern in den Strukturen dahinter und nur mit anderen Aussagen in Abtausch und Verbund.
Was wäre wohl aus Galileo geworden, hätte er nachdem er einen seiner Steine vom Turm hat fallen lassen, anschließend nichts anderes gemacht als stundenlang diesen einen Stein studiert in der Hoffnung, nein, der Erwartung, die Betrachtung seiner Oberfläche möge ihm jetzt endlich das Geheimnis verraten.
Trotzige kleine Kinder sind sie, die Sprachphilosophen.