In Europa, und Deutschland im Speziellen kann die Aufregung noch so groß sein über die Überwachungsallmacht der NSA – Amerika kümmert dies wenig. Wohlgemerkt ist auch in Amerika eine deftige Debatte entbrannt nach den Enthüllungen der letzten Monate. Aber dabei echauffiert sich Amerika nicht über das grenzenlose Datensammeln und das unwohle Gefühl, ständig überwacht zu werden, das in Deutschland so viel Unmut erregt. Der amerikanische Stein des Anstoßes wurde erst nennenswert fühlbar, als bekannt wurde, dass die NSA amerikanisches Gesetz gebrochen hatte (indem sie Ihre Überwachungsaktionen auch im Heimatland durchführte). Freilich gibt es auch in Amerika die liberale Front, die grenzenlose Überwachung seitens des Staates ebenso kritisch sieht wie die deutsche. Aber erst als sich die Macht der Geheimhaltung darin dokumentierte, dass ein Regierungsorgan wie die NSA jahrelang gesetzbrüchig war, gesellte sich eine Querwelle der Entrüstung zu den Liberalen und Intellektuellen hinzu. Erst mit einem, aus deutscher Sicht, sekundären, quer verlaufenden Thema, der Macht des Staates, seine eigenen Gesetze nicht zu beachten, nicht so sehr seine Überwachungsmaßnahmen, sondern die daraus möglichen Kontrollstrukturen vereinen in Amerika einen hinreichend bunten, hinreichend großen Querschnitt in der Bevölkerung, so dass die Debatte die Mitte der amerikanischen Gesellschaft erreichte. Dies ist nicht zuletzt, und nicht ganz ohne Ironie, der republikanischen Grundsubstanz zu verdanken, die im Tun der NSA eine Aufblähung des Staatsapparats und eine nichtsnutzige Eingriffsschleife in die Selbstbestimmung und -entfaltung des amerikanischen Traums sieht: die Solo-Entfaltung des Ichs im Kapitalismus. Aber wohlgemekrt: worin genau der Eingriff besteht ist den Republikanern herzlich egal. Eine differenzierte Debatte über Freiheit, Schutz der Privatsphäre und Kontrolle durch den Staat wäre für sie deshalb ebenso vergeudete Zeit und Verschwendung von Ressourcen wie die Überwachungsaktionen selbst. Hier spitzt sich der Unterschied zur deutschen Entrüstung über die NSA auf einen Nenner zu: Amerika entrüstet sich wegen des Prinzips dahinter, aus einer Ideologie heraus. In Deutschland wird eine Sachdebatte geführt, über Inhalte, über Details. Wechselseitig laufen diese zwei Diskurslinien zwar parallel, indem sie die das Tun der NSA kritisieren – jedoch laufen sie gleichzeitig völlig aneinander vorbei, weil die rhetorischen Vehikel in entgegegen gesetzte Richtungen fahren: das deutsche Ziel, dem Schutz der Privatsphäre des Individuums, der nur durch den Staat gewährleistet werden kann, wäre ein Greuel des anderen, die Freiheit des Individuums, Freiheit von Eingriffen des Staates. In Deutschland wünscht sich niemand den Staat weg, im Gegenteil: der Staat solle Maßnahmen zum Schutz seiner Bürger ergreifen. In Amerika wünschen sich die Republikaner einen Staat mit Macht und Einfluss in Ameisengröße. Das muntere Datensammeln der NSA ist da nur ein zufälliges Exempel von unnötiger Staatskrämerei. Weil diese grobflächig-ideologische Position sich nicht um die konkrete Ausprägung kümmert, verkennt sie die Gefahren, die in einem allwissenden, allseienden, allwirkenden Staat liegen. Es sind die Gefahren aus der eher jüngeren Geschichte Deutschlands.
